Herzogliches Wirtschaftszentrum Reusten
1575 wurden in Reusten die Kelter – seit 1760 Kirche – und die danebenstehende Zehntscheuer erbaut. Die Reustener Zehntscheuer gehört zu den größten der Umgebung und ist viel komplexer und fortschrittlicher als die üblichen Scheuern, wie Bauhistoriker Tilmann Marstaller festgestellt hat. Mit solchen Bauten sollte auch der Herrschaftsanspruch des Grundherren demonstriert werden. Von Vorgängerbauten ist uns leider nichts überliefert.
1534 hatte Herzog Ulrich die Reformation in Württemberg eingeführt und die geistlichen Besitztümer, also auch das Kloster Bebenhausen mit Reusten, verstaatlicht, so dass nun Kelter, Zehntscheuer und wohl auch die Innere Mühle in herzoglich, württembergischen Besitz kamen. Erbauer dürfte der damals erst 20-jährige Herzog „Ludwig der Fromme“, 1568 – 1593, von Württemberg, beziehungsweise seine Regierung gewesen sein.
Das Gebäude besteht aus drei etwa gleich großen Teilen, die wir neu benannt haben: Schafstall – Tenne – Farrenstall. Die Decke zum Speicher wurde erst später eingezogen. Man konnte also einst in den mittleren zentralen „Beschickungsraum“ durch ein hohes Tor einfahren und die Garben weit nach oben stapeln.
Überhaupt wurde an dem Gebäude, das ja seit 1852 anderen Zwecken dient, viel umgebaut. Auf der Vorderseite des Daches befinden sich aber immer noch die ursprünglichen Dachziegel, die unbedingt erhalten werden sollten. Für die Rückseite hat es nicht mehr gereicht. Dort wurden neue Ziegel aufgelegt.
Das Gebäude besteht aus einem unteren, aufwendig gemauerten Teil, und einer ebenso aufwendigen Konstruktion aus schweren Holzbalken, die bis zu 12 Meter lang sind. Die senkrechten massiven Ständer sind Eichenhölzer aus dem Schönbuch, die waagrechten, längeren Balken Nadelhölzer aus dem Schwarzwald. Sie mussten mit Floßen auf dem Necker und schließlich auf dem Landweg mit Fuhrwerken von Tübingen durchs Ammertal nach Reusten geschafft werden. Vermutlich wurde die Bevölkerung dafür eingespannt.
Beim Flößen band man bis zu 22 Stämme zu einem sogenannten „Gestör“ zusammen. Ein Floß hatte bis zu 22 Gestöre und konnte 266 Meter lang sein. Dass die Balken mit Floßen hierher kamen, erkennt man an Bohrlöchern. Sie dienten wie Ösen zum Zusammenbinden der Floße (Floßaugen). Vermutlich wurden sie schon im Schwarzwald rechteckig bearbeitet.
In der Nachbarschaft, an der Ammer, gab es schon sehr lange die „Innere Mühle“, bis 1956 – heute Familie Haupt – die auch die „Klostermühle“ genannt wurde. Vermutlich gehörte auch noch das benachbarte „Bühlerhaus“ als Verwaltungsgebäude zur Zehntscheuer. Wir haben also um 1575 mit der Zehntscheuer, der Kelter und der Mühle ein herzogliches „Wirtschaftszentrum“ mitten im Flecken.
Roland Fakler